Spukt es im Bundeshaus?

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Das Bundeshaus ist das Machtzentrum der Schweizer Politik. Schliesslich wird im grossen Nationalratssaal oder im kleineren Saal des Ständerats über die Revision des Kartellgesetzes, eine Änderung beim Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen oder den Preis der Autobahnvignette abgestimmt. Aber werden in diesen beiden Sälen auch Meinungen gebildet und Mehrheiten organisiert? Glaubt man den Kennern von Bundesbern, so wird die Politik nicht in den Sälen, sondern im grossen Vorzimmer gemacht – in der berühmt-berüchtigten Wandelhalle.

In dieser Wandelhalle – eine Art Vor- oder Aufenthaltsraum – tummeln sich Parlamentarier, Medienschaffende und Lobbyisten. Besonders letzteren haftet ein zweifelhafter Ruf an. Die professionellen Einflüsterer hätten die Damen und Herren Abgeordnete fest im Griff, wird geklagt. Einige seinen so aufdringlich wie Schmeissfliegen im Hochsommer. Kurz: Sie sind nicht beliebt. Manche möchten sie ganz aus dem Bundeshaus verbannen. Doch den Zutritt zum Bundeshaus gewähren den Lobbyisten paradoxerweise genau diejenigen, die sich von ihnen am meisten gestört fühlen: die Parlamentarierinnen und Parlamentarier.

So treibt sich also während einer Session ein buntes Völkchen von Interessenvertretern in der Wandelhalle herum. Wer seine oder fremde Interessen der Frau Nationalrätin oder dem Herrn Ständerat verklickern will, bleibt oft im Dunkeln. Das Obskure passt gut zur Wandelhalle, denn auf Französisch nennt man sie «la salle des pas perdus». Auf Deutsch wird dies mit «Saal der verlorenen Schritte» übersetzt. Ist die Wandelhalle also ein Saal, der den Parlamentariern gar nichts bringt? Oder geistern gar nicht erlöste Seelen von kläglich gescheiterten Lobbyisten durch den Raum?

Ganz so gruselig ist die Wandelhalle nicht. Auch wenn die Bundespolitik nicht den besten Ruf geniesst, hat das grösste Vorzimmer im Bundeshaus nichts mit Hexerei zu tun. Auch nicht mit verlorenen Schritten. Der «salle des pas perdus» stammt nämlich aus der Zeit um 1820. Unter Louis XVIII. ging es in der französischen Politik heftig drunter und drüber. Mal waren die Royalisten im Parlament, dann wieder nicht. Wer nicht drin war, war aber nicht gänzlich verloren. Er konnte auf seine Wiederwahl hoffen. So warteten sie dann im «salles des pas perdus»: im «Saal der Nicht-Verlorenen». Wenn man den französischen Ausdruck für «Wandelhalle» mit «Saal der verlorenen Schritte» übersetzt, so ist das nachweislich falsch. Der Übersetzer hat es also nicht ganz so genau genommen mit der Geschichte und der Wahrheit. Eine Eigenschaft, das bisweilen auch in der Politik anzutreffen ist. Und wetten, dass die Wahrheit auch bei den Lobbyisten ab und zu etwas strapaziert wird?