Die schrecklich lustige Autobahn
Wer sich dieser Tage in die Nähe meines Hauses traut, sei vorgewarnt! Vor meiner Haustüre zeigt nämlich, passend zur Jahreszeit, ein grimmiger Kürbiskopf seine Fratze. Geschnitzt wurde er von meinem sechsjährigen Sohn. Gekauft haben wir die eindrückliche Frucht vom Juckerhof in Seegräben. Dort findet jeden Herbst die grösste Kürbisausstellung der Schweiz statt.
Die Fahrt zum Juckerhof war für meinen Sohn nichts Besonderes. Der Seedamm ist für ihn längst keine Attraktion mehr und auch andere Strassen, Kreuzungen oder Kreisel sind – wohl aus lauter Gewohnheit – für ihn nichts Spezielles. Doch dann fuhren wir in den Betzholz-Kreisel. Diese riesige, kürbisförmige Kreisstrasse ist ein strassenbaulicher Sonderling in der Schweiz. Meinem Sohn stach besonders ins Auge, dass die vierspurige Autobahn nach wenigen Metern abrupt in einer grünen Wiese endet. Eine unglaubliche Entdeckung für einen Sechsjährigen! Verständlich also, dass er alles wissen wollte. Wieso führt die Strasse in die Wiese? Wieso hat man die Strasse nicht weiter gebaut? Was passiert, wenn einer aus Versehen geradeaus weiterfährt?
Ich erklärte meinem Sohn, dass seit nunmehr 40 Jahren viele intelligente Leute darüber diskutieren, wo die Autobahn gebaut werden sollte. Eine Lösung sei bis heute noch keine gefunden. Zwar sei man einmal einig gewesen, welcher Vorschlag der richtige ist. Doch ein paar sehr weise Damen und Herren in Lausanne waren dann wieder anderer Meinung und hätten den Autobahnbau verboten. Ich erzählte, dass die Suche nach der richtigen Strasse seit kurzem wieder von vorne losgegangen sei. Mein Sohn, von meinen Erklärungsversuchen über die Schweizer Demokratie und die Gerichtsbarkeiten wohl etwas gelangweilt, hatte eine einfache Lösung auf Lager: «Baut die Strasse doch einfach geradeaus weiter!»
Der Betzholz-Kreisel wurde einmal als das «grösste Ei im Kanton Zürich» bezeichnet. Mit seinen 580 Meter Länge und 400 Meter Breite würde er locker auch als grösster Kürbis der Schweiz durchgehen. Wohl schon mancher hat während den vergangenen 40 Jahren wegen ihm nicht nur den Kopf geschüttelt, sondern sich sogar – wie beim Kürbiskopf vor unserem Haus – fürchterlich erschreckt.