Welche Verkehrsinfrastruktur benötigt die Schweiz bis 2040?
Die Mobilität ist ein entscheidender Faktor für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Die Verkehrsinfrastrukturen bilden dafür die Basis. Am 4. Februar fand im SwissTech Convention Center der ETH Lausanne die traditionelle Journée Infra statt. Infra Suisse bot den rund 250 Tagungsteilnehmern Gelegenheit, sich unter verschiedenen Gesichtspunkten mit der Infrastruktur von morgen auseinanderzusetzen.
Nationalrat Christian Wasserfallen, Präsident von Infra Suisse, nannte verschiedene aufschlussreiche Zahlen: Pro Tag legen die Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz im Durchschnitt 37 km zurück und wenden rund 90 Minuten für Fahrten auf. Zudem besitzen 78% der Haushalte ein Auto und 57% der Bevölkerung verfügen über ein Abonnement für den öffentlichen Verkehr. Gleichzeitig hat sich der Personenverkehr der SBB zwischen Lausanne und Genf im Zeitraum 2000 bis 2015 mehr als verdoppelt. Von 2015 bis 2030 wird er sich erneut verdoppeln und bis 2030 auf 100’000 Fahrgäste pro Tag ansteigen.
Dies zeigt, wie wichtig es ist, Überlegungen zur Infrastruktur anzustellen, welche die künftigen Bedürfnisse deckt. Denn die Planung, Genehmigung und Bewilligung sowie der Bau von Infrastrukturprojekten nehmen viel Zeit in Anspruch. Zu den stetig zunehmenden Bedürfnissen kommen neue Herausforderungen hinzu, die sich aus der Klimaerwärmung, den raumplanerischen Einschränkungen, den neuen Verkehrsformen und der Digitalisierung ergeben. Damit diese Herausforderungen bewältigt werden können, rief Christian Wasserfallen dazu auf, heute die richtigen Entscheidungen zu treffen, um morgen über eine qualitativ hochstehende Infrastruktur zu verfügen. Doch Qualität hat ihren Preis. «Das Preisniveau wird sich nach oben entwickeln müssen. Die gewünschte Qualität lässt sich nur mit qualifizierten Arbeitskräften gewährleisten, was einen fairen Preis voraussetzt. Allerdings stagnierte der Baupreisindex im Tiefbau in den letzten 5 bis 20 Jahren: Von Oktober 2015 bis Anfang 2019 sind die Preise im Tiefbau nur um 0,6% gestiegen und jene im Strassenbau bloss um 0,5%», betonte der Präsident von Infra Suisse.
Materielle Infrastruktur oder intelligente digitale Lösungen?
Jérôme Cosandey trat dafür ein, sich in erster Linie auf die Optimierung der bestehenden Infrastruktur zu konzentrieren. In seinem Referat legte der Directeur romand von Avenir Suisse die wichtigsten Trends dar, welche die Schweiz und ihre Infrastruktur bis 2040 voraussichtlich verändern werden. «Der Sektor Mobilität steht an der Schwelle zu einer beispiellosen digitalen Revolution. In der bestehenden Infrastruktur schlummern enorme Kapazitäten. Es geht darum, bestehende Chancen zu ergreifen, um diese Kapazitäten besser zu nutzen, zum Beispiel durch eine Flexibilisierung der Vorschriften für Nachtfahrten oder durch technologische Innovationen, die eine höhere Verkehrsdichte ermöglichen.» Zudem sollten finanzielle Anreize eingeführt werden, um den Verkehr während der Stosszeiten besser zu lenken. Eine Möglichkeit dazu ist das Mobility Pricing, d. h. die Einführung variabler Mobilitätstarife in Verbindung mit flexiblen Arbeitszeiten.
Nutzung des Untergrunds
Ständerat Olivier Français, der der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen angehört, betonte, Planen und Umsetzen seien nicht dasselbe. Obwohl die Bundesmittel für Eisenbahn- und Strasseninfrastruktur-Projekte vorhanden sind, sei die Umsetzung dieser Projekte nicht gesichert. Oft lasse die Realisierung dieser Projekte auf sich warten, da die vorgeschlagenen Lösungen vor Ort in Frage gestellt werden. Dennoch ist es legitim, Zukunftsvisionen und frühere Gewissheiten mit der Zeit zu hinterfragen.» Der Waadtländer Parlamentarier warf auch die Frage auf, ob der Individualverkehr dereinst durch eine kollektive Intelligenz, die die Fahrten steuert, ersetzt werden könnte. Im Verlauf dieser Legislaturperiode werde Français auch die Frage der Nutzung des Untergrunds angehen. Die Zerstückelung der Landschaft und des städtischen Raums seien zu verringern.
Um den Untergrund ging es auch im Referat von Jean-Pascal Gendre, Mitglied des Verwaltungsrats von Cargo sous terrain und Vorsitzender der Geschäftsleitung der CSD-Gruppe. Das Projekt Cargo sous terrain bietet der Schweiz die Möglichkeit, bis 2045 ein automatisiertes, elektronisch gesteuertes Gesamtlogistiksystem aufzubauen. Neben unterirdischen Transporttunneln, welche die Zentren nördlich der Alpen miteinander verbinden, sieht das System eine umweltschonende Feinverteilung für Städte und Industriegebiete vor, die sogenannte City-Logistik. Damit könnten die Städte um bis zu 30% des Güterverkehrs entlastet und die Lärmemissionen des Schwerverkehrs halbiert werden. Zugleich würden die CO2-Emissionen pro Tonne beförderter Waren voraussichtlich um 80% abnehmen.
Strasseninfrastruktur
Die Städte und Gemeinden in der Schweiz bewirtschaften über 51’000 km Gemeindestrassen, deren Ersatzwert auf 67 Milliarden Franken geschätzt wird. Aus Sicht von Alain Jaccard, Präsident des Schweizerischen Verbands Kommunale Infrastruktur (SVKI), dürfen die Strategien der Gemeinden nicht mehr bloss auf der Beurteilung des Strassenzustands beruhen. Von nun an müssten die Infrastrukturen vermehrt auf Szenarien und Risiken abgestützt werden, vor allem in Bezug auf das Klima. Zudem müssten die neuen Mobilitätstrends berücksichtigt werden, wie beispielsweise die Entwicklung von autonomen Fahrzeugen.
Jürg Röthlisberger, Direktor des Bundesamtes für Strassen (ASTRA), wies darauf hin, dass die künftige Mobilität neue Anforderungen an die Infrastruktur stellt. Diese müsse so konzipiert werden, dass sie den Einsatz aller Automatisierungsgrade sicherstellt. Ausserdem habe die Infrastruktur zu gewährleisten, dass die Verkehrsflächen allen Strassenbenutzern zur Verfügung stehen, auch den Nutzern neuer Mobilitätsformen. Damit die Vorteile der Vernetzung genutzt werden können, müssen alle Fahrzeuge und Infrastrukturen netzwerkfähig sein. Dies erfordere die Anwendung einheitlicher Standards und ein koordiniertes Vorgehen beim Bau intelligenter Strassen. Nach Auffassung des ASTRA-Direktors sei es wichtig, dass die Mobilität von morgen sich in das bereits Bestehende einfügt und sich zugleich ständig anpasst.