
Vergabemonitor der Schweizer Bauwirtschaft – 2. Ausgabe Q1 2023
Der Paradigmenwechsel braucht weiterhin Schwung
Zusammen mit Bauenschweiz sowie weiteren Mitgliedsverbänden initiierte Infra Suisse 2022 ein Vergabemonitoring zur Analyse der Ausschreibungen in der Schweizer Bauwirtschaft. Im neuen Quartalsbericht wurden einige Änderungen vorgenommen, damit die Ergebnisse besser vergleichbar und methodisch verlässlicher sind. Das Beispiel der Nachhaltigkeitskriterien zeigt auf, dass der mit dem neuen Beschaffungsrecht angestrebte Paradigmenwechsel an Schwung verloren hat.
Mit der zweiten Ausgabe vom Frühjahr 2023 wurden Daten der öffentlichen Ausschreibeplattform simap.ch zwischen Anfang 2018 und Ende März 2023 ausgewertet. Das Modell wurde weiterentwickelt und berücksichtigt nebst dem Bund erstmals auch jene Kantone, die die Gesetzesrevision bis Oktober 2022 in Kraft setzten und die Daten auf simap.ch publizieren. In der zeitlichen Entwicklung ist eine sprunghafte Zunahme der Nachhaltigkeitskriterien beim Bund ab Inkrafttreten des Bundesgesetzes (BöB) im Januar 2021 zu sehen. Zugleich wird aber sichtbar, dass sich dieser positive Trend abschwächt. Ab Ende 2022 verlor das Zuschlagskriterium Nachhaltigkeit weiter an Schwung.
«So erfreulich die über weite Strecken hinweg beobachteten Zunahmen nach der Revision auf Bundesebene sind, sosehr sollten die rückläufigen Trends mit Sorge beobachtet werden.»
Cristina Schaffner, Direktorin Bauenschweiz
Download: Vergabemonitor der Bauwirtschaft, 2. Ausgabe 1. Quartal 2023
Die wesentlichsten Erkenntnisse der zweiten Ausgabe:
- Qualitative Zuschlagskriterien
Die qualitativen Zuschlagskriterien spielen bei den Ausschreibungen von Bauaufträgen weiterhin eine wichtige Rolle: Mit Anteilen von 47.3% bei Bundesaufträgen und 41.6% bei Bundes- und Kantonsprojekten stieg die Anwendung dieses Zuschlagskriteriums seit der Einführung des BöB mit +17.6% resp. +7.8%. Bei den Bundesaufträgen zeigt sich gegenüber dem 1. Quartal 2022 eine leicht rückläufige Tendenz.
Qualitative Zuschlagskriterien sind ein zentraler Aspekt für den Paradigmenwechsel. Infra Suisse wird daher die weiteren Entwicklungen im Rahmen des Monitorings genau beobachten.
- Nachhaltigkeitskriterien
Die Nachhaltigkeit wird bei der Auswertung eines Baumeisterangebotes mit 10.7% bei Bundesaufträgen und 4.3% im Mittel aller Bauaufträge öfter in die Bewertung einbezogen, als dies vor der Einführung des BöB der Fall war. Allerdings zeigt sich bei den Bundesaufträgen eine deutliche Reduktion im Vergleich zum 1.Quartal 2022. Bei den Kantonen weisen einige Kantone eine markante Steigerung auf, während bei anderen eine deutliche Reduktion festzustellen ist.
Die Schwankung in der Bewertungsgrösse und eine eventuelle Unsicherheit in der Bezeichnung der Nachhaltigkeit bedürfen einer Unterstützung Verbände des Bauhauptgewerbes. Hierbei sind auch die Unternehmen relevant: Ihre Verhaltensweise bezüglich Einsprachen bei Vergaben verstärkt diese Unsicherheiten.
- Innovation
Das Kriterium der Innovation wird in Ausschreibungen von Bauaufträgen nur gering bewertet. Bei Bundesaufträgen im Baugewerbe zeigt sich eine massive Reduktion im Vergleich zum 1. Quartal 2022.
Die Innovation als Bestandteil einer Baumeisterofferte kann nur in Zusammenhang mit einer Variantenprüfung bewertet werden. Dies bedingt, dass diese auch zugelassen werden. Hier zeigt sich, dass die Umsetzung der Gesamtleistungsangebote diesbezüglich eine wesentliche Rolle spielen würde.
- Plausibilität des Angebotes
Die Plausibilität des Angebotes hat sich seit der Einführung des BöB stark als wesentlicher Bestandteil einer qualitativen Bewertung eines Angebotes etabliert. Allerdings zeigt sich bei den Bundesaufträgen des Baugewerbes eine markante Reduktion der Bewertungsgrösse seit dem 1. Quartal 2022. Über alle Vergabebehörden ist ebenfalls ein Rückgang zu verzeichnen.
Es ist unabdingbar, dass die Verbände im Austausch mit den Vergabebehörden des Bundes diese Thematik wieder vertieft aufnehmen. Die Plausibilität des Angebotes und Preises muss im Kampf gegen Dumpingofferten eingesetzt werden.
- Verlässlichkeit des Preises
Bei der Einführung des Kriteriums der Verlässlichkeit des Preises zeigt sich ein sehr starker Rückgang im Vergleich zu einer anfänglichen hohen Implementierung im 1. Quartal 2022.
Der starke Rückgang zeigt auf, wie unerlässlich die weiterführenden Gespräche mit den Vergabebehörden auf Stufe Kantone und Bund sind.
Die Bauunternehmungen wünschen sich faire Wettbewerbsbedingungen. Dazu gehört u.a. auch die kritische Überprüfung des Offertpreises.
- Dialogverfahren
Das Dialogverfahren findet in den Ausschreibungen des Baugewerbes auf Bundesebene zu ca 9% Anwendung. Über alle öffentliche Vergabeinstitutionen ist eine sehr geringe Anwendung von lediglich 1.9% feststellbar. Dies deutet auf eine sehr niedrige Umsetzung dieses Zuschlagskriteriums für die Kantone hin.
Das Dialogverfahren – insbesondere in Verbindung mit dem 2-Couvert Modell – muss vermehrt als Vergabekriterium aufgenommen werden. Infra Suisse ist überzeugt, dass dadurch das Know-how der Unternehmungen schon früh in den Planungsprozess einbezogen werden kann. Dies dient dem Projekt und einem effizienteren Ausführungsablauf.
- Varianten
Der Umgang mit Varianten in den Submissionen zeigt sich im Monitoring eindrücklich. Seit der Einführung des BöB ist dieses Vergabekriterium bei den Bundesausschreibungen um 18.6%, bei den Ausschreibungen über alle Vergabebehörden um 11.2% zurückgegangen.
Die Möglichkeit, mittels Varianten eine optimale Lösung für ein Projekt zu finden, muss über eine funktionale Ausschreibung in Verbindung mit einem Gesamtleistungsangebot vermehrt angewendet werden.
- Gesamtleistungswettbewerb
Ausschreibungen in Form von Gesamtleistungswettbewerben zeigen eine erfreuliche Tendenz, insbesondere auf Stufe Bund. Die Umsetzungsquote dieses Kriteriums ist mit ca. 0.5% der Bundessubmissionen zwar noch tief, aber dennoch zukunftsweisend.
Dieser Trend gilt es bei den Gesprächen mit den öffentlichen Vergabebehörden aufzunehmen und zu unterstützen. Ebenfalls ist dies in den Gesprächen mit den Mitgliedern als eine effektive Möglichkeit, die Offerten nicht nur über den Preis zu bewerten, aufzuzeigen.
«Das Monitoring zeigt erfreuliche und weniger erfreuliche Tendenzen auf. Es fällt auf, dass der Paradigmenwechsel zwar gesetzlich verankert, aber noch nicht in der Praxis angekommen ist. Wir werden uns im Sinne unserer Mitglieder einsetzen – für klare Kriterien, pragmatische Ansätze und den frühzeitigen Einbezug in partnerschaftliche Modelle.»
Adrian Dinkelmann, Geschäftsführer Infra Suisse
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