Mit zwei Couverts zu mehr Qualität?

Blog  > Mit zwei Couverts zu mehr Qualität?

Die Zwei-Couvert-Methode bietet im Rahmen des neuen Beschaffungsrechts den Schweizer Infrastrukturbauern die Chance auf eine faire und vorurteilslose Bewertung ihres Angebotes. Doch die Evaluationsart allein macht keinen Paradigmenwechsel im Beschaffungswesen.

Sowohl das am 1. Januar 2021 in Kraft getretene BöB als auch die IVöB (2019) sehen erstmals explizit die Möglichkeit vor, für Beschaffungen die sogenannte Zwei-Couvert-Methode anzuwenden (BöB 38 Abs. 3, 37 Abs. 3, IVöB 35 lit. l). Die bereits in ähnlicher Form von der Weltbank angewandte Beschaffungsmethode definiert sich im Wesentlichen durch eine Zweiteilung der Offerteinreichung und -evaluation in zwei Umschlägen (Worldbank Procurement Regulations for IPF Borrowers). Während der erste Umschlag die Nachweise betreffend technischen bzw. qualitativen Kriterien enthält, findet sich im zweiten Umschlag einzig und allein der Preis des eingereichten Angebots.

Will die Vergabestelle Leistungen mittels Zwei-Couvert-Methode beschaffen, hat sie dies in der Ausschreibung anzukündigen und klar zu machen, dass die offerierte Leistung und der Angebotspreis in separaten Umschlägen einzureichen sind (vgl. BöB 35 lit. l). Dieser Zweiteilung folgend, geht auch die Offertöffnung und Bewertung gestaffelt über die Bühne. Den Anfang machen die sogenannten Leistungsangebote, welche zuerst evaluiert und bewertet werden. Danach folgt die Öffnung der Preis-Umschläge, mit deren Evaluation die Qualitätsbewertung ergänzt und zu einem Gesamtresultat vervollständigt wird.

Der Preis verwirrt die Sinne

Warum aber diese strikte Aufspaltung in Qualitätskriterien und Preis? Dem Geld wird oft nachgesagt, die Wahrnehmung eines Menschen zu beeinflussen. Nicht nur bei der Bewertung eines Weins dürfte dieser Effekt einigen bekannt sein: Ist der Preis von Anfang an bekannt, schmeckt der teure(re) doch vermeintlich besser als seine günstigere Alternative. Ein etwas anderes Resultat dürfte man dann erwarten, wenn es nur auf die Geschmacksrezeptoren ankommt. Um eine derartige Wahrnehmungsverzerrung im Beschaffungsprozess von Infrastrukturbauten zu minimieren, soll der Preis bei der Zwei-Couvert-Methode daher zu Beginn unbekannt bleiben. Das Evaluationsteam soll sich dadurch unvoreingenommen(er) der Bewertung der angebotenen Leistungen, Referenzprojekte, Risikoanalysen oder technischen Berichte annehmen können.

Auch der Preis hat ein Wörtchen mitzureden

Wurden die Qualitätsmerkmale erst einmal geprüft und bewertet, kommen die zweiten Umschläge ins Spiel. Eine Offerte, die in qualitativer Hinsicht hinter ihre Konkurrenz zurückfällt, muss aber nicht gleich als gescheitert gelten oder aus dem Wettbewerb ausscheiden. Alle Angebote, welche die formellen Voraussetzungen und Eignungskriterien erfüllt haben, verbleiben nach wie vor im Rennen um den Zuschlag. Es findet somit nicht etwa eine definitive Vorselektion statt, bei welcher nur einzelne Angebote in die «zweite Runde» der Preisbewertung, vorrücken. In diesem Punkt unterscheidet sich die Evaluation bei der Zwei-Couvert-Methode nicht von der bekannten «Ein-Couvert-Methode»: Hier wie da hat auch der Preis des Angebotes Einfluss (BGE 143 II 553 E. 6.4). Die Vergabestelle öffnet in einem zweiten Schritt auch die Preisangebote und bewertet diese nach der ausgeschriebenen Gewichtung sowie Preiskurve und lässt die jeweilige Note in die Gesamtevaluation einfliessen (BBL/KBB, Synopse Rev. Beschaffungsgesetz, S. 34). Erst mit diesem Schritt lässt sich das insgesamt vorteilhafteste Angebot bestimmen.

Evaluationsart allein macht keinen Paradigmenwechsel

Was heisst das nun für den Qualitätswettbewerb im Beschaffungsrecht? Der Zwei-Couvert-Methode kann ohne Weiteres eine katalysierende Wirkung zugesprochen werden, wenn es um die objektive Evaluation von Qualitätskriterien geht. Doch der Erfolg des von vielen Seiten gewünschten Paradigmenwechsels hängt nicht allein von der gewählten Evaluationsmethode ab. Zentral und unabdingbar ist daher die durch die Vergabestelle getroffene Wahl der konkret anzuwendenden Eignungs- und vor allem Zuschlagskriterien sowie deren Gewichtung im Einzelfall. Den Vergabestellen wird daher empfohlen, nicht nur die Zwei-Couvert-Methode auf ihre Anwendbarkeit und Praktikabilität in konkreten Pilotprojekten zu testen, sondern auch die vom Gesetz vorgesehenen qualitativen Zuschlagskriterien (u.a. Nachhaltigkeit, Innovationsgehalt) in der Praxis zu etablieren und Instrumente zu schaffen bzw. anzuwenden. Letztere müssen zwangsläufig so ausgestaltet sein, dass sie ein objektives und nachvollziehbares Messen des Qualitätsgehalts ermöglichen. Dazu steht z.B. der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz als Hilfsmittel zur Verfügung.

Infra Suisse setzt sich für Qualitätswettbewerb ein

Mit dem BöB als massgebliche Grundlage setzt sich Infra Suisse aktiv für die Förderung des Qualitätswettbewerbs im Infrastrukturbau ein. Der Einsatz von öffentlichen Mitteln soll zukünftig nicht nur wirtschaftlich sein. Vielmehr muss es selbstverständlich werden, dass das vorteilhafteste Angebot nur dasjenige sein kann, dass sowohl auf volkswirtschaftlicher, ökologischer als auch sozialer Ebene punkten kann. Die zur Verfügung gestellten (gesetzlichen) Mittel und Instrumente (u.a. Zwei-Couvert-Methode) sollen so umgesetzt, weiterentwickelt und in der Praxis angewendet werden, dass der Qualität zwar nicht die Rolle der Solistin, jedoch aber die der ersten Geigerin zukommen kann.

Verwandte Themen

BöB/IVöB

Am 1. Januar 2021 trat das neue Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) in Kraft und gilt für alle...

Mehr lesen