«Die Erkenntnis reift, dass es sich lohnt, Vereinbarkeit proaktiv zu fördern»
Der Startschuss zum Projekt Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben fiel im November 2020 in Bern. Initiiert wurde es von Infra Suisse und der Fachstelle UND. 12 Mitgliedsfirmen von Infra Suisse nehmen daran teil. Projektleiter Tobias Oberli von der Fachstelle UND gibt im Interview Auskunft zum Projektstand und einen ersten Einblick in die Ergebnisse.
Was war die wichtigste Motivation beim Projekt mitzumachen?
Der Preisdruck in der Baubranche setzt den finanziellen Möglichkeiten für Vereinbarkeitsmassnahmen zwar Grenzen. Zugleich führt die starke Konkurrenz unter den Bauunternehmen dazu, sich auf dem Arbeitsmarkt für hochqualifizierte Fachkräfte zu positionieren. Dazu gehören auch vereinbarkeitsfreundliche Arbeitsbedingungen. Die Projektteilnahme erlaubt es den teilnehmenden Bauunternehmen, sich mit Vereinbarkeitsförderung auseinanderzusetzen, mit anderen Unternehmen zu vergleichen und Anregungen zu erhalten. Vor allem bewarben sich für das Projekt Firmen, die bereits eine gewisse Affinität zum Thema hatten. Es zeigte sich auch, dass die Vereinbarkeit von Beruf- und Privatleben für die teilnehmenden Unternehmen weniger ein akutes als vielmehr ein strategisches Thema für die Zukunft ist.
Welche Aktivitäten fanden bisher statt?
Nach dem ersten gemeinsamen Workshop im Herbst 2020 nahmen alle zwölf Bauunternehmen an einer individuellen Onlinebefragung teil. Diese basiert auf dem Vereinbarkeitsmodell der Fachstelle UND und erlaubt es, umfassende Angaben zu den betrieblichen Rahmenbedingungen der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu erheben. Anschliessend führte die Fachstelle UND Interviews mit Geschäfts- und Bereichsleitungen sowie Personalverantwortlichen durch, um die erfassten Daten zu diskutieren. Am Ende wurden die Ergebnisse den Geschäftsleitungen präsentiert.
Wie profitierten die beteiligten Bauunternehmen von der Teilnahme?
Aufgrund der individuellen Analyse gewannen die Betriebe nicht nur einen Überblick zur Vereinbarkeit, sie erhielten auch eine Standortbestimmung, wie vereinbarkeitsfreundlich ihre aktuellen Arbeitsbedingungen sind. Die individuellen Auswertungen der Fachstelle UND erlaubten es den Bauunternehmen, ihren Einfluss auf das Zusammenspiel von Beruf und Privatleben der Mitarbeitenden zu erkennen sowie Stärken und Schwächen in diesem Bereich zu identifizieren. Auch der Nutzen von guter Vereinbarkeit für alle Beteiligten konnte verdeutlicht werden.
Welche weiteren Schritte stehen noch an?
Anhand der gewonnenen Einblicke entwickeln die Bauunternehmen ihre eigenen Aktionspläne zur Förderung der Vereinbarkeit. An einem zweiten Runden Tisch Mitte Mai können Erkenntnisse, Ziele, geplante Massnahmen und erste Erfahrungen in der Umsetzung untereinander ausgetauscht werden. Der Runde Tisch soll den Beteiligten erlauben, sich branchenintern zum Thema Vereinbarkeit zu vernetzen. Anhand der Gesamtergebnisse des Projekts erfahren die Beteiligten zudem, wo sie mit ihrer betrieblichen Vereinbarkeit im Vergleich zu den anderen Teilnehmenden stehen. Infra Suisse wird die Erkenntnisse anschliessend allen Mitgliedern zur Verfügung stellen.
Was waren die Besonderheiten für die Baubranche?
Einige vereinbarkeitsrelevante Voraussetzungen sind typisch für die Baubranche. Das ging aus den Analysen mit den teilnehmenden Betrieben deutlich hervor. Dazu gehört beispielsweise der grosse Kontrast zwischen administrativen und technischen Tätigkeiten auf der einen und dem gewerblichen Baustellenpersonal auf der anderen Seite. Baustellen sind in mehrfacher Hinsicht besonders anspruchsvoll für die Vereinbarkeitsförderung. Die Möglichkeiten, auf die vielfältigen Bedürfnisse der Mitarbeitenden einzugehen, sind schon aufgrund externer Einflüsse – z. B. Arbeit auf der Baustelle, Vorgaben der Kundschaft, Sicherheitsvorschriften – begrenzt. Auch der Landesmantelvertrag steht in der Wahrnehmung der Betriebe flexiblen, vereinbarkeitsfreundlichen Lösungen zum Teil im Wege.
Der Bau ist eine traditionelle Branche, in der noch vorwiegend Männer arbeiten. Hat das einen Einfluss?
Dies ist wohl auch einer der Gründe, weshalb Vereinbarkeitsbedürfnisse eher selten gefordert werden. Auch spüren die Bauunternehmen in diesem Bereich noch wenig Druck, Vereinbarkeit zu einem strategischen Pfeiler des Personalmarketings zu machen. Vor dem Hintergrund des steigenden Fachkräftemangels beim technischen Kader, wollen die Betriebe das Thema trotzdem frühzeitig angehen: Die Erkenntnis reift, dass es sich lohnt, das Thema Vereinbarkeit proaktiv zu fördern, anstatt den steigenden Druck von aussen abzuwarten.
Teilnehmende Bauunternehmen
- Antiglio SA
- Frutiger AG
- Grisoni-Zaugg SA
- Wellauer AG
- HEW AG
- Laurent Membrez SA
- Lazzarini AG
- Perrin Frères SA
- Pizzarotti SA
- Rothpletz, Lienhard + Cie AG
- Stettler AG Biel Studen
- STRABAG AG
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